Eine dunkle Begierde
Originaltitel: A Dangerous Method – Erscheinungsjahr: 2011 – Regie: David Cronenberg
Darsteller: Viggo Mortensen, Keira Knightley, Michael Fassbender, Vincent Cassel, Sarah Gadon, André Hennicke, Arndt Schwering-Sohnrey, Mignon Remé, Mareike Carrière, Franziska Arndt, Wladimir Matuchin, André Dietz u.A.
Filmkritik: Da ist er nun, der neue David Cronenberg-Film. Und aus gegebenem Anlass ist die Filmkritik verfasst im freudschen Strukturmodell der Psyche.
Das Über-Ich
Am Anfang gab es das Buch „A Most Dangerous Method: The Story Of Jung, Freud And Sabina Spielrein von John Kerr. Dieses war die Grundlage für das Theaterstück „The Talking Cure“ von Christopher Hampton, welches wiederum David Cronenberg sehr gut gefiel, der dann daraus einen Film machen wollte, was ihm nun schließlich gelungen ist. Die Handlung beschäftigt sich mit sowohl mit der Geburt der Psychoanalyse, die vorangetrieben wurde von Sigmund Freud und Carl Jung, die zwar in eine ähnliche Richtung gehen wollten, aber ansonsten von den Details sehr unterschiedliche Ansichten des Themas hatten. Verkomplizierend und geschichtsschaffend kam Sabina Spielrein dazu, die erst Jungs Patientin und danach Geliebte wurde, bevor sie sich mit ihrem Mentor zerstritt, selbst ein Pionier auf dem Feld der Psychoanalyse (Stichwort: Kindertherapien) wurde und später unter Freud weiterlernte, was dem ohnehin nicht allzu guten Verhältnis der beiden Männer weiter geschadet hat. So weit zur groben Geschichte des Films, dessen Herkunft und der Geburt der Psychoanalyse.
Vielleicht war es von Cronenberg auch ein ungünstig gewählter Schachzug, direkt das bereits stark bearbeitete Theaterstück von Hampton als Grundlage zu nehmen, anstatt von der ursprünglichen Quelle, Kerrs Buch, aus, ein anderes Skript zu entwickeln. Denn leider hat der hierzulande „Eine dunkle Begierde“ betitelte Film einige herbe Aussetzer, die manches Mal auf die Limitierungen eines Bühnenstücks hinweisen, ohne allerdings dessen natürliche, weil real gespielte Intensität komplett einfangen zu können.
Das Ich
Aber Cronenberg ist Cronenberg, da kann doch nicht so viel daneben gehen, oder? Leider irgendwie schon. So wirkt das Geschehen sowohl gehetzt, als auch in die Länge gezogen. Der erste Kontakt zwischen dem von Michael Fassbender gespielten Carl Jung mit dem von Viggo Mortensen gespielten Freud lässt etwas auf sich warten und danach auch noch etliche Zeit für eine leider eher platte Einführung, bevor wirkliche Konflikte in der Handlung auftauchen. Überhaupt ist das Drehbuch überraschend platt ausgefallen. Die Geburt der Psychoanalyse wird einzig als Zuckerguss-artige Hintergrundwürze verwendet, ohne sonderlich ins Details zu gehen. Dies war zwar auch nicht unbedingt zu erwarten, aber dass Cronenberg sogar bis auf aller wenigste Momente sogar eine komplette Einführung in den damaligen Zeitgeist um die Wende des 19. Jahrhunderts außen vor lässt, ist dann schon viel erschreckender. In Nebensätzen wird hier und da angerissen, dass viele „einfachere Zeitgenossen“ Probleme mit dieser neuen Form der Analyse haben. Aufgegriffen oder gar in einer Szene thematisiert wird es allerdings nie.
Auch spielt Cronenberg von Beginn an mit offenen Karten, was gerade bei einer Charakterstudie wie dieser störend ins Gewicht fällt.
So schlägt die Inszenierung bereits bei der Einführung von Fassbenders eigentlich fabelhaft gespieltem Carl Jung sehr offensichtliche Töne an: Der Mann ist arbeitsbesessen und vernachlässigt dadurch seine Frau. So weit, so gut, aber eine Weiterentwicklung setzt auch bis zum Ende nicht ein. Ebenso Freud. Beide Charaktere stecken von der persönlichen, sozialen Entwicklung her ziemlich fest. Dies ist alles historisch verbürgt, aber als Kinofilm braucht es da eben eine Triebfeder um das Geschehen in Gang zu bringen.
Hier tritt dann Freud auf der Plan, der im wirklichen Leben ein, nett ausgedrückt, ziemlich ambivalenter Charakter war. Cronenberg wirft das Ganze über Bord und macht aus dem sexfixierten Psychoanalytiker wenig mehr als den Bösewicht des Films, der nur sehr wenige ausgleichende Momente spendiert bekommen hat. So tritt er fast stets als egozentrisch, herrisch und in gewissem Sinne schlicht als ein Sozial-Nazi auf, der immer das letzte Wort haben will und dieses auch höher stellt als das von seinen Mitmenschen. Ebenso wie Fassbender, der zwar gut spielt, aber sich ständig durch die selben drei, vier Emotionsstadien kämpfen darf, so ist Mortensens Freud leider auch zu sehr durch das Drehbuch limitiert.
Ohne jede Kritik kommt allerdings Peter Suschitzkys grandiose Cinematographie aus. Edel bis zu Letzt kann man jedes Bild Rahmen und an die Wand hängen. Es wird viel mit unterschiedlich geschärften Objektiven gearbeitet, damit etwa sowohl links der Vordergrund, als auch etwa dann rechts der Hintergrund scharf gestellt ist. Die bedächtigen Kamerafahrten und wunderbar zum ruhigen Kontext des Films passenden Bebilderungen saugen den Zuschauer regelrecht in den Film hinein. Und die großartig gelungene, historische Optik des Ganzen bemüht sich nach Kräften, die leider im Drehbuch so schmerzlich vermissten Momente des damaligen Zeitgeistes einzufangen. Auch Komponist Howard Shore gibt sein bestes mit einem minimalen, aber eingängigen Thema, welches subtil, aber gekonnt die jeweiligen Szenen abrundet und unterstreicht. Was hätte hier für ein großartiges Werk entstehen können, wenn man mehr aufs Drehbuch geachtet hätte. Und mehr aufs Casting, besonders im Bezug auf Keira Knightley. Die scheint es hier ganz Natalie Portman-in-Black-Swan-haft auf einen Oscar zu schielen und müht sich in der Rolle der Sabina Spielrein nach allen Kräften ab, jede Szene so intensiv wie möglich zu spielen…
Das Es
…und abmühen ist auch genau der richtige Begriff für diese Darbietung. Von der ersten Minute schneidet sie Grimassen, die eine besessene Linda Blair sogar als übertrieben ansehen würde und packt dann auch jede verfügbare Emotion in jede sich bietende Szene. Egal ob dies nun zu selbiger passt oder auch nicht. Dazu kommt, dass besonders ihre Figur auch noch einige Wandlungen durchlebt, welche das Drehbuch gerne mal Offscreen erledigt, um den Zuschauer nachher mit dem Ergebnis zu präsentieren. Dies ist sicherlich auf die knappen Begrenzungen eines Bühnenstücks zurückzuführen, aber gerade bei einer filmischen Umsetzung wie dieser wäre es passender gewesen die Entwicklungen zu sehen, anstatt sie nachher erzählt zu bekommen. Immer wenn der Film inhaltlich gerade die Kurve zu kriegen scheint, wird plötzlich abgebrochen, nur um ein paar Szenen später einen Charaktersprung zu präsentieren.
Was sprunghafte Charaktere angeht, so darf Vincent Cassel als Otto Gross nicht unterwähnt bleiben. Hat die versammelte Kritikerschar im Kino bereits über etliche von Knightleys „Schauspielleistungen“ herzhaft lachen müssen, so war dies, neben ein paar anderen, gelungenen Seitenhieben, besonders bei Cassels Charakters sicherlich durchaus beabsichtigt. Gross ist schlicht das, was man heutzutage einen „Rock’n Roll-Analytiker“ nennen würde. Intelligent und auf seinem Gebiet durchaus bewandert, ist er aber stets dabei, diese beiden Elemente schlicht für seine eigenen Ausschweifungen und Zügellosigkeiten zu benutzen.
Apropos Zügellosigkeiten: Gerade im Bezug auf die sexuelle Analyse ist es einfach eine Schande, dass diese eben nicht kontrastiert wurde durch ein zeitgenössischeres Sittenbild. Da dieses nun gar nicht vorkommt, wird die psychoanalytische Seite zu wenig mehr als zu einem interessanten, wenn auch wenig nahrhaften Zuckerguss bei einem Psychothriller der drögeren Gangart degradiert. Denn leider auf nichts Anderes läuft zum Schluss das Geschehen hinaus. Als Biografie der Personen ist es zu abgehakt, als Film über die Geburt der Psychoanalyse kratzt der Streifen nur extremst an der Oberfläche des Themas, sogar als Drama bleibt das Ganze höchst oberflächlich und als Psychothriller ist einfach zu wenig Thrill dabei.
So bleibt am Ende schlicht das „Psycho“ und dies ist zu großen Teilen der Knightley vorbehalten, die eine gestörte Frau mit heutzutage lachhaft harmlosen S/M-Vorlieben spielt (auch besonders hier ist wieder die fehlende Präsentation der damaligen Mentalität schier unbegreiflich, um das Ganze in einen adäquaten Kontext zu setzen, der eigentlich ein zwingend notwendiger Kontrast gewesen wäre). Dies wird dargestellt, indem sie wild rumzucken, -schreien, -lachen oder gar –heulen darf. In der ersten Hälfte zumindest. Sollten in einem halben Jahr keine YouToube-Clips auftauchen, bei denen Knightleys übertriebenes, mit vorgezogenem Unterkiefer vor sich hinstierendes Spiel flott geremixt wird wie Nicolas Cages „Greatest Hits“, dann stimmt wohl etwas mit dem Internet nicht.
Das Fazit der Analyse fällt da leider ziemlich karg aus: Von Cronenberg ist man weit, weit besseres gewohnt. Zumindest inhaltlich. Optisch und akustisch ist der Film ein Genuss für die feineren Sinne, was vielleicht den überraschend platten, an der Oberfläche des Themas kratzenden Inhalt umso mehr zu Tage fördert. Zumindest „eine dunkle Begierde“ dürfte nun geheilt sein, denn wer immer schon mal Keira Knightley oben ohne sehen wollte, hat nun die Chance dazu. Ebenso wie die, diesen Wunsch im Nachhinein dann doch zu bereuen. Soviel zum „Es“…
Filmbewertung: 5/10
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