Jack Reacher
Originaltitel: Jack Reacher – Erscheinungsjahr: 2012 – Regie: Christopher McQuarrie
Darsteller: Tom Cruise, Rosamund Pike, Robert Duvall, Jai Courtney, Richard Jenkins, Werner Herzog, James Martin Kelly, David Oyelowo, Alexia Fast, Michael Raymond-James, Kristen Dalton, Christopher Stadulis u.A.
Filmkritik: Oh man. Welcome back to the 80s! Was hat man nicht von “Jack Reacher” gehört: Es soll ein Polit-Thriller sein. Es ist ein ernstes Kriminaldrama um Korruption. Es soll eine neue Franchise-Plattform von Tom Cruise werden, etc. etc.
Zumindest das mit der Franchise-Plattform stimmt schon einmal auf jeden Fall der Rest allerdings? Äh… nein, gar nicht, ganz und gar nicht, im Gegenteil. „Jack Reacher“ beschwört wehmütig Erinnerungen an die besten Steven Seagal und 80s Actionstreifen. Das schlägt sich auch in der Handlung nieder:
Ein vermeintlich irrer Ex-Soldat soll vermeintlich mehrere Menschen einfach so niedergesnipert haben. Kurz bevor der Killer „aus Versehen“ bei einer Gefangenenüberführung ins Koma geprügelt wird, sagt er seiner Zwangsverteidigerin noch, dass sie Jack Reacher holen soll. Der Mann ist aber „ein Phantom, absolut unauffindbar. Sie können ihn nicht finden, wenn er gefunden werden will, dann kommt er zu ihnen!“ So weit, so over-the-top und der Anfang der genüsslichen Actionsploitation-Soße, die hier großzügig vergossen wird.
Natürlich taucht Jack Reacher in kürzester Zeit aus dem nichts auf. Ohne Gepäck, aber mit einem Kopf voller Kampftechniken und Ermittlungsmethoden. „Wollen Sie sich keine Notizen machen?“ –„Nein, brauche ich nicht, ich kann mir das so merken!“ Und was er sich nicht alles merkt. Angefangen über die Seriennummer der Waffe des Killers, über die Jahreszahl der Münze, die der vermeintliche Täter kurz vor seinem Amoklauf noch in die Parkuhr geworfen hat. Etc. Etc.
Dabei wird Cruise von den guten Männern direkt respektiert und von den bösen als Bedrohung wahrgenommen, gegen die man etwas tun muss, während alle Frauen im Film schlussendlich eigentlich harmlos sind und mit großen Augen Cruise hinterher schmachten und direkt flachgelegt werden wollen. (Und das denken wir uns hier jetzt nicht aus, abgesehen von Blicken bekommt Reacher gleich zwei „Ich hab heute Abend noch nichts vor!“ *mit-den-Augen-klimper*-Anträge.)
Allein in den ersten paar Minuten werfen ihm direkt zwei Damen im selben Mode-Geschäft den lechzenden Schlafzimmerblick hinterher. Aber das ist natürlich noch nicht alles. Zusätzlich ist Reacher ständig Herr der Lage, thront ständig über allen Anderen, hat ständig den Überblick und ist ständig „The Man“!
Selbst irritierte Fragen der Zwangsverteidigerin (die von Rosamund Pike gespielt wird, ein Wahnsinns-Dekollete hat und sich nicht sicher ist, ob Daddy Staatsanwalt nicht für die bösen Hintermänner arbeitet) wie
„Können Sie sich kein Hemd anziehen?“ weicht Cruise mit einem eleganten „Aber ich hab doch nur das eine!“ (zeigt auf sein gerade trocknendes Hemd über einer Lehne und stellt sich wieder cool mit verschränkten Armen an die Wand um seine Brustmuskeln und seinen Bizeps zu präsentieren) aus. Noch mehr coole Selbstverliebtheit könnte wohl inhaltlich und optisch nicht zelebriert werden, außer man schneidet Fight Club-mäßig einfach einen Penis-Shot irgendwo hinein.
Aber hey, das haben, nein, das lieben wir doch genau so! …also das coole, selbstgefällige Auftreten des erhabenen Helden, nicht den Penis-Shot. Das war jetzt zugegebenerweise etwas missverständlich und zweideutig.
Weniger zweideutig ist dafür Werner Herzog, WERNER fucking HERZOG als Cartoon-Bösewicht, der wie die Parodie auf die Parodie eines Bondbösewichts erscheint, bei seinem ersten Auftritt stolz erzählt, dass er so sehr leben will, dass er sich die meisten seiner Finger selbst abgekaut hat „bevor der Wundbrand mich erwischen konnte“, im O-Ton in schönstem „Graf Orlock“-Dialekt spricht und seine Untergebenen bei Versagen vor die Wahl stellt sich eine Kugel abzufangen, oder selber einen Finger (vorzugsweise den Daumen) abzukauen.
Oh. Mein. Gott!
Die zuletzt angesprochene Szene sollte dabei wohl ursprünglich intensiv wirken, durch das überzogene Spiel von Herzog, dessen überkandidelten Monolog (und vor allem die Tatsache, dass er nach seiner ersten fingerlosen Hand stolz die Zweite hochhält, um zu zeigen, dass er die auch verloren/weggeknuspert hat) und die anschließende, eigentlich heftige, aber durch die Umstände so witzig erscheinende Szene des auf seinem eigenen Daumen herumkauenden Unterlings, wird das Ganze glorreicher Action-Cheese wie man ihn schon lange nicht mehr erleben durfte.
Und das Beste dabei? Die Actionszenen stehen dem in nichts nach! Richtig gut ist eine Verfolgungsjagd, bei der einzig die Motorengeräusche für den musikalischen Rhythmus sorgen, während eine nahe, aber übersichtliche Kamera stets genau im Geschehen ist. Da wird das Adrenalin gepumpt, da will man unweigerlich selbst schalten und abgerundet wird das Ganze davon, dass die Szene wieder ins übertrieben-humorvolle Abdriftet, weil Jack Reacher einfach aus dem Auto aussteigt, es weiterrollen lässt, sich einer auf den Bus wartenden Gruppe Passanten anschließt und von einem gar nebenbei eine Baseball-Kappe zwecks zusätzlicher Tarnung in die Hand gedrückt bekommt. Glorreich!
Der reinkarnierte Steven Seagal
Gut, das Wichtigste vorab: Steven Seagal ist, Gott sei Dank, noch nicht tot, das sollte also nur ein halbwegs cleverer Zwischentitel sein. Auf der anderen Seite ist „Jack Reacher“ sicherlich der beste Steven Seagal-Streifen, den Steven Seagal nie gedreht hat. Allein Reachers Kampfstil erinnert stark an den schwer unterhaltsamen (Wortspiel!) Aikido-Meister. Schnelle Moves, die Beine oder Arme brechen, Handgelenke brechen und Leute mit Leichtigkeit kämpfunfähig machen. Und wer erinnert sich nicht an die klassische Seagal-Szene, wo dieser einen Gegner am Boden hat, dessen Handgelenk fest umgriffen und dann ausfragt?!? Genau diese Szene gibt es hier auch. 1:1. Davor darf man erleben wie zwei komplett inkompetente Killer sich mit Baseball-Schlägern gegenseitig in die Quere und auf die Nase kommen. Herrlich!
Das Finale ist dann auch pure 80s Action: Das Setting und der Anfang wirken fast wie 1:1 von „Tango & Cash“ übernommen, während der Endkampf Seagal, äh, Cruise Vs. Oberhandlanger sogar komplett dem Finale von „Lethal Weapon 1“ entspricht. Es regnet sogar. Einfach unglaublich. Spätestens beim Finale fällt dann aber auch leider ein Makel auf, den bislang nur ein Steven Seagal-Film zu bieten hatte: das PG-13-Rating! Wenn Cruise aus nächster Nähe zwei Leute mit einem automatischen Gewehr umknallt, nur damit diese blutleer auf den Boden fallen können, oder wenn auch das Finish des Endkampfes quasi Off-Screen stattfindet (auch wenn man durchaus weiß was passiert), so muss man wehmütig an die Zeiten denken, wo ein Streifen wie „Jack Reacher“ auf jeden Fall mit einem R-Rating dahergekommen und als Film „für Erwachsene“ (man beachte die Anführungszeichen) vermarktet worden wäre. Jetzt muss es eben PG-13 sein, damit die Kleinen mitdürfen. Na toll. Besteht die Hoffnung auf einen Unrated Director’s Cut?!?
PG-13 und andere Probleme der Jetztzeit
Abgesehen von den leider fehlenden Härten, die hier und da eigentlich zwingend hätten eingebunden werden müssen, hat „Jack Reacher“ auch noch ein anderes, leider sogar größeres Problem: Seine lächerlich wirkende Affinität zu seriösen Momenten. Wenn etwa Cruise seinen weiblichen Co-Star Pike motivieren will, mehr über die Opfer des Killers herauszufinden, was so als Verteidigerin des Killers ja schon etwas unangenehm ist, kommt erst eine Szene, bei der sie mit einem Hinterbliebenen redet, der eine Waffe auf seinem Aktenbock liegen hat und kurz davor ist damit auf sie los zu gehen. So weit, so überzeichnet und ok, dass dann aber allen ernstes eine erklärende Collage in den Film gezwängt wird, bei der pathetisch die letzten Momente dieser Leute abgebildet werden, um so etwas Pathos und Herzschmerz aus der Angelegenheit zu quetschen, ist schon daneben. Nein, nicht nur das, sondern schlicht und ergreifend unnütz. Sonderlich hilfreich ist es für die weiteren Schlussfolgerungen nicht, sondern soll nur eine Art von seriösem Unterbau vermitteln. Wohl, damit nicht einfach nur mit toll inszenierter Action und cooler Cruise-Attitüde posieren kann.
Leider wird so des Öfteren in der ersten Hälfte des Films dem Streifen der Wind aus den Segeln genommen, bevor die eigentlich durchaus rasante Fakten und Informationsjagd wieder aufgenommen wird. Auch am Ende gibt es dann etwas zu viel Druck auf die Tränendrüse mit einer Abschlussszene des vermeintlichen Killers. (Ok, es dürfte langsam klar sein, dass der vermeintliche Killer natürlich nicht eben der eigentliche Mörder war, sondern nur jemand, auf den man die Tat abwälzen kann, hinter der natürlich eine Verschwörung von hochrangigen Beamten – ein weiteres Seagal-Merkmal –steckt.) Ganz zu schweigen von dem Problem, dass ohne diese „Ernsthaft, wir sind nicht nur Action und Krawall, schaut euch doch unsere dramatischen Szenen an!“-Sequenzen den gesamten Streifen auf ungesunde 130 Minuten anschwellen lassen.
Ohne diese für die Stimmung wie auch die endgültige Auflösung der Geschichte absolut nicht zwingenden, sondern sogar zum Teil eher störenden Szenen, hätte man einen kompakten Actionkracher von gut 100 Minuten Länge, der auch weiß wann einfach mal Schluss ist.
Aber, man sieht es an der Bewertung, im Endeffekt und vor allem nach einer Nacht darüber schlafen (dank Review-Sperre von der Pressevorführung am 13. bis zum 21. Dezember), bleiben eigentlich einzig und allein die unterhaltsamen Momente im Gedächtnis. Die übertriebenen Momente. Die „Fuck yeah, geile Verfolgungsjagd!“- oder „Oh man, das tat weh, hahaha yeah!“-Momente in Erinnerung. Ganz zu schweigen von den Werner Herzog-What The Fuck-Momenten. (Den obligatorischen Gag der Marke „Da muss der Herzog wohl eine Wette verloren haben!“ sparen wir uns jetzt mal.)
Direkt nach dem Verlassen des Kinosaals schlug der Pegel noch eher in Richtung 6 von 10. Wegen dem schmerzlichen Vermissen der schmerzlichen Momente dank PG-13 und den unpassend-nutzlosen „Bitte, nehmt uns ernst!“-Einlagen. Insgesamt ist aber „Jack Reacher“ mit das Unterhaltsamste, was wir 2012 im Bereich der Mainstream-Big-Blockbuster-Action im Kino gesehen haben und wagen schon jetzt mal die Prognose, dass 2013 auch die Kinogänger mit der Vorliebe für bodenständigere Action wohl nicht allzu viele Chancen haben besser unterhalten zu werden. „G.I. Joe 2“, „Pacific Rim“ oder ähnliches sieht zwar super aus, aber die Einfachheit von einem coolen Typen, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und dort die richtigen Bösewichte richtig schön umbringt wird immer richtig unterhaltsam sein. Wenn es richtig gemacht ist. Und bis auf die zwei genannten Kritikpunkte trifft dies eben voll und ganz auf „Jack Reacher“ zu, der angenehm unverwackelt und übersichtlich inszeniert ist.
Filmbewertung: 7/10
P.S.: Ganz großes Kino ist auch, wenn Cruise (wir können an dieser Stelle wohl zu Recht davon ausgehen, dass „Jack Reacher“ nur ein Pseudonym ist und es sich schlicht um Mr. Scientology himself handelt) den Schießstand des vermeintlichen Killers aufsucht, nur um den Inhaber des Stands mit seiner nahezu perfekten Schießkunst so zu beeindrucken, dass dieser gleich als snipernde Unterstützung mit beim Finale anreißt. Muss halt das Tom Cruise’sche Charisma sein.
Und kein Wunder, dass Regisseur Christopher McQuarrie, der „Way Of The Gun“ gedreht und geschrieben hatte und der Drehbuchautor von Werken wie „Operation Walküre“ oder auch „The Tourist“ war, nun im Gespräch ist „Mission Impossible 5“ zu inszenieren. Passen würde es wie die Faust aufs Auge und vielleicht stellt sich dann ja auch raus, dass „Jack Reacher“ eigentlich nur eine Undercover-Mission von Ethan Hunt war. Passen würde es.
C4rter holt es einmal mehr auf Blu-ray nach
Ich kan mich wieder mal meinem Kollegen nur anschließen. Jack Reacher macht verflucht viel spaß wenn man über die kleineren Story-Macken in der Auflösung und generellen Ausführung des gerissenen Masterplans hinweg sieht. Dazu ist das Finale und auch die eingestreuten Action-Szenen und Verfolgungsjagden einfach richtig gut inszeniert, ruhig gefilmt und herrlich gespielt. Insgesamt also auch:
Filmbewertung: 7/10
Doppel-Review-Notenschnitt: 7/10 |
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