3096 Tage
Originaltitel: 3096 Tage – Erscheinungsjahr: 2013 – Regie: Sherry Hormann
Darsteller: Antonia Campbell-Hughes, Thure Lindhardt, Jaymes Butler, Trine Dyrholm, Amelia Pidgeon, Vlasto Peyitch, Angelina Noa u.A.
Filmkritik: Okay, da sind wir nun also. „Der Kampusch-Film“.
In den Medien wird die etliche Jahre Entführte manches Mal ziemlich ruppig angepackt und – meiner Meinung nach – irgendwelche Unsensiblen im Internet haben warum auch immer eine Abneigung gegen die Gute. Warum? Keine Ahnung. Neid?
Ok, Scherz beiseite. Und „Scherz beiseite“ ist dann auch das Thema des folgenden Artikels. Leider hatte ich dank fiebrigem Imbettliegen die Presse-Vorstellung verpasst, was aber wohl auch ganz gut gewesen ist, da ich sonst wohl mit manch bösem Kommentar von einigen Mitkritikern der „höchst seriösen Fraktion“ wohl ungläubig beäugt worden wäre. Oder so habe ich mir das zumindest vorgestellt, bis ich schließlich den Streifen doch noch später sehen konnte, denn sonderlich viel zum zynischen Amüsieren durch etwaig inkompetent gemachten Sequenzen oder Übertreibungen gab es nicht. Da war schon das bizarre Drumherum der Sichtung eher belustigend, aber dazu später mehr.
Irgendwo zwischen Ausbeutungs- und Arthouse-Kino…
…steht das „Betroffenheitskino“. Anstatt einen Exploitation-Streifen zu drehen, der mit sichtlich zwiegespaltener Intention sowohl „die Schrecken“ illustrieren, als auch den Zuschauern das Ganze als verruchte Packung Sado-Sex verkaufen will, oder einem Arthouse-Streifen, der künstlerisch, vielleicht sogar abstrakt zu Werke geht und das Martyrium eindringlich schildert, gibt es eben das, was zu erwarten war: Das Betroffenheitskino.
Soll heißen, dass zwar durchaus der Ansatz verfolgt wurde die Begebenheiten rund um die Entführung und die jahrelange Qual der Kampusch eindringlich (apropos, zu den Sexeleien kommen wir später noch) darzustellen, aber das doch bitte auf so einem Niveau, dass die ab 16 Grenze nicht überschritten und vor allem die pseudo-intellektuellen Zuschauer im Publikum, die einen heftigeren Tatort als Maximum der Härte im Hinterkopf haben – ja, jetzt hauen wir auf den Stammtisch – nicht allzu schockiert werden. Nach diesem viel zu langen Satz sei gesagt, dass dies bereits ein Punkt ist, an dem das gesamte Geschehen krankt.
Angefangen bei der spekulativen und am Ende komplett nutzlosen Einführung, welche bereits einen Moment bietet, der beinahe schon am Ende der Tortur stand, über das ungelenke Drehbuch bis hin zur schlicht und ergreifend überfordert wirkenden Regie. Und, Hand aufs Herz, ich kann mich nicht daran erinnern, wann mir das letzte Mal so stark aufgefallen ist, dass anscheinend die Macher, bzw. in diesem Fall die Regisseurin Sherry Hormann, scheinbar so stark von ihrem Stoff überfordert waren. Aber vielleicht lag es auch am unterdurchschnittlichen Skript?
Beinahe einer Telenovela gleich wirken bereits zu Beginn die Charakterisierungen, die sich auch im weiteren Geschehen nicht wirklich von dieser platten Ausgangslage weiterentwickeln. So unternimmt das Buch sogar den bizarren Schritt, die Eltern von der kleinen Hauptfigur als überforderte 08/15-Menschen zu beschreiben. Er nimmt seine noch sehr junge Tochter abends immer stundenlang mit in die Kneipe, während er sich einen Ansäuft. Sie meckert ihr Kind morgens deshalb schon an und wirkt stark überfordert mit ihrem Alltag. Dass dann die ersten paar Sequenzen mit dem Entführer gar mit dem Zeigefinger wedeln, dass dieser sich besser um das Kind kümmert – das derbe Wortspiel mit einer „intensiveren“ Beziehung lassen wir mal weg – wirkt nicht nur zu überzogen, sondern verliert sich als nichtiger Einstieg auch schnell aus dem eigentlichen Handlungsallerlei.
„Wofür brauchst du überhaupt ein Unterhemd? Und wofür brauchst du überhaupt eine Unterhose?“
Meinte da der Entführer zur zweiten, nun nicht mehr kleinkindlichen Darstellerin der Kampusch, welche den weiteren Zeitraum über dann auch ziemlich nackig durch die Gegend rennt. Manch ein Kritiker meinte dazu, „warum sowas denn nötig sei“ und unterstellte spekulative Elemente, hat dabei aber anscheinend vergessen, dass die Inszenierung nie in eine voyeuristische Sicht verfällt. (Oder sonst irgendwelche Ambitionen hat.) Da hätte man auch fragen können, warum es denn ein kleines Mädchen sein musste, dass entführt wurde. Was haben hier eigentliche manche erwartet?
Die im weiteren Verlauf durchaus harschen, sexuellen Übergriffe, die anscheinend mit dem Einsetzen der Periode der Hauptfigur erst aufkamen, wirken dann von der Art der Bebilderung wie eine Zwangsübung, bei der man sich auf keinen Fall irgendwie die Finger verbrennen oder Grund zur Kritik beim biederen Bildungsbürgertum bieten wollte, so dass auch hier die Inszenierung schlicht wie ungewollt und obendrein nicht gekonnt wirkt. Von ein, zwei absolut nutzlosen, dafür aber furchtbaren GreenScreen-Rückprojektionen während einer Autofahrt ganz zu schweigen.
Wie man es auch dreht und wendet: Das große Problem von „3096 Tage“ sind das Skript und die Inszenierung. Einzig an drei, vier Stellen scheint irgendeine Art von Inspiration vorhanden gewesen zu sein. Wenn etwa die Kinderdarstellerin der jungen Kampusch minutenlang direkt in die Kamera spricht und ihrer Verzweiflung Ausdruck verleiht, wird es richtig intensiv. Ebenso wie die Sequenzen, als die etwas erwachsenere Variante nachher mit ihrem Entführer in einen Baumarkt fährt und plötzlich, nach all den Jahren, für einen Moment alleine und durch das Fehlen des vormals immer kontrollierenden Elements innerlich panisch wird.
Und, damit es mal aus dem Weg ist: Dass die Regisseurin vorher nur den Film „Anleitung zum Unglücklichsein“ gedreht hat, eine Liebeskomödie, ist einzig und allein als böser Gag zu gebrauchen. Vielleicht lag es an den Produzenten, die genau so einen leichter verträglichen Filmbrei haben wollten, der auf mittlerem TV-Allerlei anzusiedeln ist, um nachher eine zweiteilige Fernsehfassung besser an die Zuschauer zu bringen (um das mit der „überforderten Regie mal zu relativieren). Dennoch bleibt leider das Fazit, dass die Inszenierung hier überfordert, unintensiv und schlicht zu großen Teilen erschreckend bieder erscheint.
Bis zum Ende hin fällt dem Drehbuch aber auch keinerlei Zusatznutzen ein, als eine lose Abfolge von Geschehnissen zu präsentieren, die mit einer lächerlich aufgepfropften Erzählklammer zusammengehalten werden. So meint bereits zu Beginn die Entführte „dass sie wusste, dass am Ende nur einer von uns überleben wird“. Spoiler-Gefahr! Aber genau das ist auch der Punkt: Viele, sehr viele Leute die sich „3096 Tage“ anschauen, wissen nicht nur wie die Geschichte ausgeht, sondern haben wohl auch den einen oder anderen Artikel über die Geschehnisse im Vorfeld gelesen. Und einmal mehr wirkt gerade im Hinblick darauf die locker-unzusammenhängende Struktur wie das Verfilmen von Bild-Schlagzeilen. Der Titel wird dann gar zum Thema erhoben, wenn das oftmals einzige verbindende Element ist, dass jeweils eingeblendet wird, an welchem Tag der Entführung man sich gerade befindet und dass eben alles auf Tag 3096 hinarbeitet.
Wobei mir gerade beim Schreiben schockiert auffällt, dass die Drehbuchschreiber sich wohl ganz clever vorgekommen sind, weil sie eben „Tag 3096“ erst geschrieben haben, als dann bereits junge Frau sich retten konnte. „Voll überraschend, yo!“ haben sich da wohl die Macher ge-high-fivet, denn – was noch viel erschreckender ist – dieser bekannte Kniff im Drehbuch ist sogar noch einer der inspiriertesten Momente.
Die Rettung naht in Form der Darsteller
Der einzige Faktor, welcher „den Kampusch-Film“ über alle Maßen rettet sind die Darsteller. Thure Lindhardt als Entführer Wolfgang Priklopil spielt scheinbar teils verzweifelt gegen die im Drehbuch vorhandene 08/15-Charakterisierung an und schafft selbst aus teilweise an der Grenze zur Selbstparodie stehenden Sequenzen – etwa jenen mit seiner (Film-)Mutter, die stark an einen gewissen Norma Bates erinnern – noch eine erschreckend realistische Intensität zu zaubern.
Dabei fiel mir auf, dass wir hier auch in Kürze mal den großartigen „Princess“ mit Lindhardt als Voice-Actor vorstellen müssen. Aber auch sonst ist der Gute rumgekommen. Er war im „Da Vinci Code“-Nachfolger „Illuminati“oder „Into The Wild“ zu sehen.
Noch einen Tick besser waren da noch die beiden Darstellerinnen der Natascha Kampusch. Die junge Amelia Pidgeon als kleine Natascha ist als Kinderdarstellerin absolut fantastisch und lässt dem Zuschauer durch ihre Darstellung oftmals einen Schauer der Intensität über den Rücken laufen. Ihr in die Kamera gesprochener Monolog ist da eines der absoluten Highlights des Streifens. Da kann man zu Recht gespannt sein, was aus der Kleinen noch wird.
Und Antonia Campbell-Hughes? Wow. Einfach nur wow! Abgemagert, verwildert, aber immer noch mit Kampfgeist und viel Menschlichkeit spielt sie die ältere Version von Natascha. Die Sex-/Vergewaltigungsszenen und die nachfolgenden Reaktionen darauf, ihr Selbstmordversuch, ach, einfach alles: Einfach. Nur. Fantastisch! In dem britischen Monsterfilm „Storage 24“ gibt es die Gute in hübsch zu sehen, was direkt nach „3096 Tage“ schon ein krasser Vergleich ist. (Auch wenn sie in dem Monsterstreifen natürlich nicht so viel zu tun bekommt, darstellerisch, wie eben hier.)
Ihr (und eben auch den anderen beiden Hauptdarstellern) ist es zu verdanken, dass diese Verfilmung nicht in der totalen Nutzlosigkeit versinkt. DAS ist so eine Sache, die man durchaus mit dem Oscar als beste Hauptdarstellerin auszeichnen sollte. (Auch wenn wegen der Herkunft des Streifens dies natürlich nicht zur Debatte steht.) So oder so hat sie, aber ebenso „die junge Kampusch“ jeden Preis verdient, der in ihre Richtung geworfen wird für die Darstellung. Sie ist sogar so gut, dass sie ein ums andere Mal von dem furchtbar lahmen Drehbuch und der furchtbar lahmen Inszenierung ablenkt.
Das ist dann auch der Grund, warum im Endeffekt „3096 Tage“ noch auf eine mittelmäßige Bewertung kommt. Die drei Hauptdarsteller retten dieses Werk und tragen es auf den Schultern doch noch über die Ziellinie. Und apropos Darsteller: Die anderen Akteure sind ebenfalls nicht schlecht, können aber durch ihre kleineren Szenen und peinlich standardisierten Figurenzeichnungen nicht gegen das Skript anspielen. So kommen wir am Ende zur
Filmbewertung: 5/10
P.S.: Das Umfeld und die Zuschauer des Films
Ich hatte es zu Beginn ja angesprochen: Das Umfeld, in welchem in diesen Streifen gesehen habe, war schon ziemlich bizarr. Nicht nur, dass in dem Kino im Vorfeld NUR Trailer zu „Twilight“-Klonen wie „Beautiful Creatures“ oder „Rubinrot“ liefen, nein, auch das Publikum bestand zu mindestens einem guten Drittel aus ziemlich jungen Mädchen(gruppen), bei denen ich sagen würde, dass diese maximal gerade so wenn überhaupt 16 Jahre gewesen sind. Mein persönlicher Tipp war eher „so in etwa 13“.
Ist das die Zielgruppe für diesen Film? Die Mittvierziger-Lehrerinnen/Sozialpädagoginnen habe ich ja erwartet, aber die junge Teeny-Crowd? Ganz und gar nicht. Wenigstens saß dann doch ein Mann mit hochgeschlagenem Mantelkragen im Publikum, so dass ich mit meinem hochgeschlagenen Mantelkragen zumindest nicht ganz so einsam gefühlt habe. Und, Hand aufs Herz, die „Männer in langen Mänteln“-Fraktion ist doch sicherlich eher die anvisierte Zuschauergruppe als jugendliche Mädchen. Oder?
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