Joker

JOKER
Originaltitel: Joker – Erscheinungsjahr: 2019 – Regie: Todd Phillips

Erscheinungstermin: Ab dem 10. Oktober im Kino

Darsteller: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Shea Whigham, Brian Tyree Henry, Marc Maron, u.A.

Filmkritik: Was wird nicht alles gerade über JOKER gesagt: Der Streifen sei ein erschreckendes Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft. Er soll „Incel“-Gewalt und die Wut einsamer weißer Mann repräsentieren. Amokwarnungen wurden ausgegeben, etc. etc.. Bla bla bla. Meine erste Reaktion nach dem Ende des Abspanns: Eiskaltes Schulterzucken.

2019 – Die urbane Apokalypse

Todd Phillips will mit JOKER den düsteren Großstadt-Epen der 70er-Jahre huldigen. TAXI DRIVER mag er anscheinend ganz besonders, so sehr wie Stimmung und Szenen-Elemente bei seinem Film wieder auftauchen. Das New York von 1981 wird von ihm in dreckigen Perspektiven präsentiert, die vereinzelt gar an die Großstadt-Apokalypsen eines Abel Ferrara erinnern. Joaquin Phoenix trägt dabei den Streifen komplett auf seinen Schultern, spielt sich die Seele aus dem Leib und ist in jedem Moment das Beste, das der Film zu bieten hat.

Das muss er auch sein, denn jenseits von Phoenix‘ Schauspiel und den urbanen Schreckenslandschaften, sind die eigentlichen Themen des Streifens so oberflächlich wie die Schminke des Jokers.

Emotional unterkühlt, oder eher lauwarm?

Einzelne inhaltliche Twists sind dermaßen offensichtlich inszeniert, dass sich die Frage stellt, ob Phillips diese Elemente überhaupt als Überraschung präsentieren wollte. Nebenfiguren sind haben keinerlei Profil und sind einzig und allein dafür da, um Joaquin Phoenix‘ Arthur-Fleck-Figur die Richtung zu seinem nächsten Acting-Set-Piece zu geben.

Ungewollt unterstreicht dies die sehr bemüht kühle Stimmung des Films. Diese wird generell optisch von der Kameraführung zwar gut eingefangen und es gibt eine Hand voll etwas längerer Aufnahmen, doch gerade das Schwelgende von Phillips Vorbildern erreicht JOKER nie, da dann doch immer noch eine neue Einstellung, ein weiterer Umschnitt her muss. Schnell, schnell, nicht, dass sich das aktuelle Publikum zu sehr auf das Geschehen einstellen muss.

Einmal wahnsinniges Allerlei, aber bitte weichgespült

JOKERs Beziehung zu seinem Publikum ist auch etwas Interessantes: Ständig bemüht sich Todd Phillips seine Hauptfigur doch nicht zu böse darzustellen, doch nicht die Sympathien der Zuschauer zu verlieren. Richtig schurkische Aktionen gibt es kaum und selbst wenn, dann ist JOKER zurückhaltend. Dass man die mal wieder aufgeplusterten Skandalmomente vergeblich suchen wird, war ja ohnehin schon klar. Das hier ist kein AMERICAN PSYCHO, kein HENRY – PORTRAIT OF A SERIAL KILLER oder TAXI DRIVER.

Die Charakterentwicklung von Phoenix-Figur erinnert etwas an Ferraras MS. 45, doch auch dort ist die Intensität auf einem viel höheren Niveau. Generell wirkt JOKER in fast allen Bereichen – abgesehen von Joaquin Phoenix‘ Schauspiel – weichgespült. Jenseits von geklauten Momenten und düsterer Großstadtbilder ist da kaum etwas von der Intensität der 70er-Jahre hängengeblieben. Was aber hängen bleibt, das ist der Soundtrack, sowohl die vielen Songs, als auch die Klänge von Hildur Guðnadóttir sind extrem packend und bleiben lange im Kopf hängen. Fast könnte Phoenix‘ exzellentes Schauspiel in Verbindung mit der Optik und den Tönen darüber hinwegtäuschen, dass der Kern des Films ziemlich leer und klischeehaft ist. Fast.

Wir leben in einer Gesellschaft, nicht wahr?!?

Thematisch gibt es einige Allegorien zu aktuellen Massendemonstrationen, ANTIFA, „Occupy Wallstreet“ und Co. Doch all dies bleibt Glasur. Arthur Flecks Taten sind nicht politisch motiviert, sondern emotional. Aussagen wie „Meine ich das nur, oder wird es dort draußen konsequent verrückter?“ sowie tiefgründige Bewertungen der Marke: „Die reichen Politiker interessieren sich gar nicht für uns!“ sind das Höchstmaß der sozialen Autopsie, die JOKER betreibt.

Zusätzlich klaut der Streifen auch gerne von PSYCHO sowie weiteren irren Muttersöhnchen-Mördern. Zwar ist die persönliche Selbstentdeckungsreise der Hauptfigur dank Phoenix‘ fantastischem Spiel stets sehenswert, doch erneut gibt es inhaltlich nur laffe Klischees und banale Antworten auf gar nicht mal sonderlich geheime Geheimnisse. Politisch wie emotional trifft JOKER weder als Film, noch als Figur eine klare Aussage. Auch hier fehlte dem sowohl Werk wie Charakter der Mut eine eigene Meinung zu haben. Genau das macht JOKER aber wiederum zu einem tollen „Opinion-Piece“-Streifen macht.

Wie war das noch in DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK? „Du wirst nur konfrontiert mit dem, was du mit dir bringst!“ Oder so. Die Diskussionen über den Film – und das gesamte aufgeregte Drumherum – sind deutlich interessanter als Phillips‘ eigentliche Arbeit. Denn am Ende bleiben die politischen, wie auch die emotionalen Elemente so flach, wie die Schminke der titelgebenden Comic-Figur.

Und fangen wir gar nicht mal damit an, dass JOKER als Comic-Adaption oder sogar als freie Herkunftsgeschichte des ikonischen Wahnsinnigen kaum funktioniert. Denn bis die hier gezeigte Figur zu jenem Batman-Schurken wird, braucht es wahrscheinlich noch ein, zwei weitere Filme. Oh Gott … ist das etwa der Plan?!? Ich hoffe nicht.

Die Qualen des jungen Batman

Apropos Batman, da kommen wir nämlich direkt zu den schlimmsten Elementen von JOKER. Während der Streifen generell eben eine halbgare TAXI-DRIVER-Hommage mit Serienkiller-Versatzstücken, Polit-Glasur und brillantem Hauptdarsteller ist, so wollte anscheinend irgendjemand unbedingt noch mehr „Comic-Elemente“ im Geschehen haben. Ich hoffe mal, dass es ein Mandat von Warner Bros. war und nicht Todd Phillips selbst, denn bis zu einem gewissen Grad machen die „Batman Begins“-Versatzstücke im Geschehen Sinn, nur um immer mehr zu einem unnützen Ballast zu werden, der anscheinend da ist, weil er halt da sein muss. Ohne Batman kein Joker, oder wie auch immer.

Dass dabei die Parallelitäten zwischen beiden Figuren – besonders in der zweiten Hälfte – mit der subtilen Kraft eines Vorschlaghammers ins Skript geprügelt wurden, lässt mich darauf hoffen, dass es eine Entscheidung von außen war. Am Ende ist JOKER immer noch darauf bedacht, nie wirklich unangenehm zu werden, nie wirklich schmerzhaft oder quälend. Die Unentschlossenheit wird dann vom Epilog perfekt auf den Punkt gebracht, der zu dutzenden „Ending Explained“-Videos führen wird. Doch schlussendlich sind diese letzten Minuten eben ein Mikrokosmos des gesamten Geschehens: Wunderbar gespielt, toll bebildert, inhaltlich flach und viel zu zurückhaltend.

FAZIT: Am Ende bleibt ein eiskaltes Schulterzucken. Bewertung: 6/10 . (Vielleicht etwas höher, worüber ich zu Beginn nachgedacht hatte. Doch als ich dann so schrieb und mir die inhaltliche Unentschlossenheit wieder einfiel, ist der Streifen nochmal etwas abgesagt. Naja. Im Heimkino gibt es dann noch eine Chance.)
Was auf jeden Fall klar ist: Joaquin Phoenix hat definitiv eine Oscar-Nominierung verdient. Er darf dann mit Taron Eggerton um die Auszeichnung kämpfen. JOKER VS. ELTON JOHN. Das ist doch mal ein Film, den ich definitiv gerne sehen würde.

Wenn JOKER eine inhaltliche Qualität hat, dann eben den Faktor, dass – wie gesagt – jeder das in dem Film sehen kann, was er mitbringt. Ob es nun die trendige Begriffe wie INCEL, ANTIFA und ähnliches sind, die Wut einsamer weißer Männer, oder sonstiges. Ich würde an dieser Stelle ja gerne THE KILLING JOKE als Alternative empfehlen, doch die Film-Adaption dieses Joker-Origin-Comics ist – jenseits des Voice-Actings – bizarr schlecht geworden, weshalb man mit JOKER sicher besser fährt. Oder einfach mit TAXI DRIVER.

Auf die meisten Polit-Bla-Blas vieler Kritiker trifft dabei der „so flach wie Schminke“-Vergleich ebenfalls zu. Dabei habe ich noch nirgendwo die eindeutigste Anbiederung von Todd Phillips gelesen: Bernhard Goetz. Der sogenannte „Subway Vigilante“ erschoss 1984 mehrere Leute auf eine Art und Weise, die fast 1:1 in JOKER umgesetzt wurde. Auch seine Wirkung in den Medien entspricht der von Phoenix‘ Figur. Alles was geändert wurde, wirkt – natürlich neben Story-Gründen – wie eine Anbiederung an die politische Korrektheit des Jahres 2019. Wie war das noch gleich mit dem Mut und der Radikalität von JOKER?