Her
Originaltitel: Her – Erscheinungsjahr: 2013 – Regie: Spike Jonze
Darsteller: Joaquin Phoenix, Lynn Adrianna, Lisa Renee Pitts, Gabe Gomez, Chris Pratt, Artt Butler, May Lindstrom, Rooney Mara, Bill Hader, Kristen Wiig, Brian Johnson, Scarlett Johansson, Amy Adams, Matt Letscher
Filmkritik: Irgendwo in nicht allzu ferner Zukunft. Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) arbeitet in einer Firma als Autor von handgeschriebenen Briefen zu bestimmten Anlässen. Derartige Gefühlsausdrücke wie ein persönlich geschriebener Brief sind in der Zukunft eine Seltenheit geworden, denn Programme haben die Schreibaufgaben der Menschen quasi fast vollständig übernommen.
Theodore lebt nach gescheiterter Ehe alleine in einer, nicht komplett eingerichteten Wohnung. Die Scheidung von seiner Frau (Rooney Mara) ist in den letzten Zügen und er stürzt in ein depressives Loch. Beim schlendern im Einkaufszentrum zeigt er sich beeindruckt von einer Werbung für ein neues Betriebssystem für seinen Computer. OS 1 ist ausgestattet mit einer künstlichen Intelligenz die sich komplett auf ihn einstellen soll und ein Eigenleben entwickelt. Nach dem Beantworten einiger persönlicher Fragen, die scheinbar nur wenige Auswirkungen haben, stellt sich das System als Samantha (Scarlett Johansson) vor. Die beiden lernen sich kennen und Samantha beginnt damit Theodores Computer zu sortieren. Emails lesen und aussortieren, Scheidungspapiere verwalten und so weiter. Doch Theodore spürt schnell eine besondere Bindung zu Samantha und die beiden unterhalten sich über viel mehr, das Leben, die Welt und wie es ist ein Mensch zu sein. Durch Samantha beginnt der depressive Theodore wieder Freude und Lebensmut zu empfinden. Theodore verliebt sich immer mehr in das Betriebssystem…
Spike Jonze ist der Mann für die Verwirklichung von eher ungewöhnlichen Drehbuchideen. Das hat er 1999 bereits mit der Verfilmung des Charlie Kaufmann Drehbuchs zu „Being John Malkovich“ bewiesen (wofür es eine Oscarnominierung gab), ein Film der zur Prämisse hat, das man für einen bestimmten Zeitraum die Welt aus den Augen von Schauspieler John Malcovich sieht und nach Ablauf der Zeit auf irgendeiner Autobahnabfahrt aufwacht.
Ganz so abgedreht ist „Her“ dann doch nicht, aber die Idee erscheint ähnlich kreativ. Bei „Her“ hat Jonze zudem, ähnlich wie zuvor bereits bei „Where the Wild Things Are“, das Drehbuch selbst verfasst, was ihm diesmal direkt eine Oscarnominierung eingebracht hat. 2 weitere gab es zudem für den besten Film und den Besten Song. Nicht schlecht, dafür das Jonze bisher den Großteil seiner Karriere mit dem machen von Musikvideos und „Jackass“ verbracht hat. Insgesamt bekam „Her“ 5 Nominierungen, „Original Score“ und „Production Design“ wurden ebenfalls nominiert.
Ein Betriebssystem (OS), das ein derartiges Eigenleben entwickelt und eine Beziehung zu seinem Nutzer aufbaut. Das mag heute noch weit hergeholt klingen, aber die Welt die Jonze in „Her“ erschafft scheint dies irgendwie schon vorzusehen. In der U-Bahn und auf der Straße erblickt man in „Her“ vornehmlich in sich gezogene Personen und Einzelgänger. Alle mit dem Handy-Stöpsel im Ohr und dem Smartphone-Ersatzgerät in der Hand. Alles erscheint etwas steriler als in der Gegenwart, ohne dabei an depressive Zukunftsfilme wie „Gattaca“ zu erinnern. Es wirkt angenehm futuristisch, ohne mit abgedrehten Spielereien aus dem Kontext zu reißen.
Wenn heute jemand sagen würde „ich habe eine romantische Beziehung mit meinem OS“ würde er wohl in die Klapsmühle wandern, in der Welt von „Her“ ist dies in manchen Kreisen gar die nächste Stufe. Unfähig für menschlichen Kontakt und ein harmonisches Miteinander ist ein OS, was einen durch Millionen Emails, eine allumfassende Browserhistorie und riesige Datenspeicher perfekt kennt, evtl. wirklich der bessere Partner und Liebhaber.
„Her“ ist die meiste Zeit eine ein Mann Show. Joaquin Phoenix interagiert mit der Stimme von Samantha im Ohr, gesprochen von Scarlett Johansson. Ursprünglich sprach Samantha Morton das OS, aber Jonze war nach Drehschluss und während des Schneidevorgangs nicht mehr zufrieden mit ihrer Stimme und mit ihrem Segen holte er Scarlett Johansson ins Projekt und diese sprach alles nochmal neu ein. Etwas schade, denn Samantha Morton war immer zusammen mit Phoenix am Set und interagierte dort praktisch mit ihm ohne jemals zu sehen zu sein. So interagiert er im fertigen Film nun mit einer völlig anderen Person. Merklich auffallen tut dies nicht, hinterlässt aber einen faden Beigeschmack im Nachgang.
Joaquin Phoenix Leistung tut dies aber keinen Abbruch, denn diese ist erneut phänomenal. Er spielt den depressiven, in sich gekehrten Briefschreiber Theodore Twombly mit der nötigen Portion von Verzweiflung und Hingabe. Von der Liebe seines Lebens verlassen, unfähig eine neue Beziehung einzugehen und in der Geborgenheit von seinem Betriebssystem wohlig aufgenommen. In jeder Szene ist er komplett überzeugend und man kann davon ausgehen, dass ihm die Nominierung wegen seiner Aussagen gegenüber Awards in der Vergangenheit verwehrt wurde, nicht wegen seiner Leistung an sich.
Aber auch Scarlett Johansson auf der anderen Seiter weiß zu überzeugen. Ihre zu jeder Zeit betörende Stimme schmiegt sich an das Ohr des Zuschauers ebenso an wie an das Ohr ihres Benutzers/Partners.
Der Soundtrack kommt desöfteren mit ruhigen Klavierklängen daher. Dies wird sogar in die Story eingebettet, denn Samantha versucht sich als Klavierspielern und komponiert Stücke, passend zu bestimmten Situationen die sie mit Theodore erlebt. „Ein Tag am Strand“ gehört zum Beispiel dazu. Der allgemeine Soundtrack kommt ebenfalls eher indirekt und im Hintergrund daher, fällt nur selten groß auf aber unterlegt die Szenerie immer mit der passenden Stimmung. Rundum gelungen.
Wo „Her“ schwächelt ist so ein bisschen das große Ganze. Stellenweise ist nicht immer klar worauf der Film hinausläuft oder wo die Reise schlussendlich hingehen soll. Theodore durchlebt mit Samantha eine völlig neue Art der Beziehung, stößt im Verlauf auf bekannte aber auch neue Probleme. Er versucht mit ihr über seine letzte Beziehung hinwegzukommen und entwickelt sich durch sie zu einem etwas anderen Menschen. Und wer hätte gedacht, dass es sogar sowas wie einen Dreier im Film geben wird?
Doch nach 2 Stunden ist alles plötzlich vorbei. Denn am Ende hat man das Gefühl, Jonze hat einen Ausweg aus der Geschichte gesucht und sich für eine etwas halbgare Lösung entschieden die nicht so recht überzeugen kann.
Bis auf diesen Lapsus und die manchmal etwas wenig zielstrebige Inszenierung die etwas Leerlauf entstehen lässt, ist „Her“ wohl mit eines der interessantesten Projekte 2013 gewesen. Eine Story die es so noch nicht gegeben hat, mit tollen Darstellern und einer bedächtigen aber ins sich stimmigen Inszenierung. Stark!
Filmbewertung: 8/10
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