Originaltitel: The Dirt
Erscheinungsjahr: 2019
Regie: Jeff Tremaine
Erscheinungstermin: Seit dem 22. März 2019 bei Netflix
Besetzung von The Dirt
Machine Gun Kelly, Erin Ownbey, Douglas Booth, Aaron Jay Rome, Daniel Webber, Alyssa Marie Stilwell, Brittany Furlan, Iwan Rheon, Trace Masters, Matthew Underwood, Kathryn Morris, Vince Mattis, Mark Ashworth, Avis-Marie Barnes, Tony Cavalero, David Costabile
Die Handlung von The Dirt
Drogeneskapaden, wilde Sexabenteuer, kaputte Hotelzimmer, Schlägereien und Gefängnisaufenthalte. Wer glaubt, schon alles über Rock’n’Roll-Exzesse zu wissen, kennt entweder Mötley Crüe nicht oder hat diesen Film nicht gesehen. Die amerikanische Hardrockband hat seit ihrer Gründung Anfang der 80er-Jahre alles unternommen, um den bekannten Rockstar-Klischees die Krone aufzusetzen. Gemeinsam mit Bestsellerautor Neil Strauss gelang ihnen mit „The Dirt“ eine unglaublich wilde, unterhaltsame und grandios witzige Bandchronik, die von Netflix jetzt verfilmt wurde.
Filmkritik zu The Dirt
Als bekennender Fan von Mötley Crüe habe ich natürlich auch vor einigen Jahren das Buch „The Dirt“ gelesen, was im Allgemeinen als eine der besten (weil unterhaltsamsten) Musiker- und Band-Biografien gilt. Jeder der das Buch kennt hat vermutlich immer gerne die News verfolgt, dass es über viele Jahre hinweg Pläne gab diese Ansammlung aus abstoßenden, ausschweifenden Geschichten voller Sex, Drogen, Alkohol und Musik zu verfilmen. Doch jeder der das Buch kennt wird sich auch gefragt haben, wie man das verfilmen soll und noch eine Freigabe fürs Kino bekommen soll.
Netflix to the rescue
Umso besser, dass der Film dann letztlich bei Netflix gelandet ist. Was aus so einem Stoff passiert wenn er ins Kino kommt hat man ja zuletzt bei „Bohemian Rhapsody“ gesehen. Netflix nimmt hingegen bei ihrer Verfilmung kein oder zumindest kaum ein Blatt vor den Mund. So sieht man direkt zu Beginn eine Frau im hohen Bogen aus ihrer Vagina spritzen. Nimm das, weich gespültes „Bohemian Rhapsody“!
Seltsam, aber so steht es in „The Dirt“ nun mal geschrieben. Im Buch wurde diese Dame zudem zärtlich „Bullwinkel“ genannt, da sie dem Elch Bullwinkle J. Moose aus der Serie „The Bullwinkle Show“ wohl sehr ähnlich sah.
Trotzallem bleibt „The Dirt“ kein einfach zu verfilmendes Buch. Denn dort wechselt die Erzähl-Perspektive ständig, da mal die Bandmitglieder einzeln Geschichten erzählen und dann auch mal der Produzent oder jemand von der Plattenfirma. Dies findet sich erfreulicherweise aber auch im Film wieder. So wird vieles aus Sicht von Nikki Sixx erzählt, dem Bassisten der Band. Aber auch Leadsänger Vince Neil kommt zu Wort wie auch Schlagzeuger Tommy Lee und Gitarrist Mick Mars. Ja sogar Produzent Harold “Doc” McGhee hat seine Segmente in denen er darüber sprechen darf, dass keine Band so verkommen und verstört war wie Mötley Crüe. Und er hatte in seiner Karriere ein wirklich beeindruckendes Repertoire aus Band betreut.
Ein Jackass für die Jackasses
Ein Highlight dieser Erzählstruktur ist sicher wenn Tommy Lee einen typischen Rockstar Tag aus seiner Sicht beschreibt. Das diese Erzählung nicht ohne Blowjobs, Alkohol, Handschellen und Kotze auskommt sollte ja wohl klar sein. Das verwundert insofern noch viel weniger wenn man sieht wer für „The Dirt“ auf dem Regiestuhl Platz genommen hat. Denn Jeff Tremaine ist niemand geringeres als der Stammregisseur der „Jackass“-Truppe. Geht es noch passender? Wohl kaum.
Der Film ackert die Besten oder zumindest die erinnerungswürdigsten Szenen des Buches ab. Stellenweise wird aber auch hier wieder die Realität etwas zurecht gerückt. Zwar nicht so haarsträubend wie bei der Queen Verfilmung aber dennoch stellenweise etwas verwirrend offensichtlich. Doch der Film kommentiert dies an einer Stelle sogar. Wenn “Doc” McGhee zur Band dazu stößt weicht die Zusammenkunft komplett von der Realität ab und der Film streicht zudem McGhees Kollegen Doug Thaler (fast) komplett aus dem Film (er ist kurz zu sehen und löst sich dann wortwörtlich in Luft auf). Dies wird von Mick Mars im Film allerdings augenrollend und direkt in die Kamera erläutert. So kann man Abweichungen von der Realität dann auch besser verschmerzen. Derartiges durchbrechen der „fourth wall“ gibt es immer mal wieder im Film, was auch immer gelungen eingebaut wurde.
“Never leave your girlfriend alone with Mötley Crüe….because they will fuck her.”
Besonders im letzten Viertel des Films verwischt dann aber die Realität zusehends. Machte die Band in den 90er Jahren weniger durch Musik als durch die Skandale rund im Tommy Lee und Pamela Anderson von sich Reden, wird diese im Film mit keiner Silbe erwähnt. Lediglich seine vorherige Frau Heather Locklear kommt vor. Mick Mars bekommt im Film irgendwann um 1996 eine neue Hüfte. Doch das passierte eigentlich erst irgendwann 2005 (nachdem es das Buch „The Dirt“ bereits 4 Jahre gab). Doch im allgemeinen Filmfluss stört dies nur bedingt.
Gelungen ist die Abwärtsspirale von Nikki Sixx und Vince Neil. Während Neil in seiner Partyschwangeren Zeit den Drummer der Band „Hanoi“ bei einem Autounfall umbringt und schließlich noch seine kleine Tochter durch Krebs verliert, versenkt Nikki Sixx 1000$ pro Tag in Form von Heroin in seinen Venen und wird sogar für kurze Zeit für Tot erklärt. Beide Geschichten, mehr aber sogar noch die von Neil, gehen ans Herz. Leider fehlt bei Nikki Sixx die berühmte Geschichte des Buches, wonach er, nachdem er dem Tod von der Schippe sprang, aus dem Krankenhaus flieht, irgendwo in ein Auto einsteigt und dort trauernde Mötley Crüe Fans vorfindet die denken er sei tot. Umso erfreuter reagieren diese als sie realisieren wer da bei ihnen im Auto sitzt.
„We wanna knock people on their asses and we gotta give them a show.”
Regisseur Jeff Tremaine gelingt es gut ein glaubhaftes Bild der 80er zu erzeugen. Hierbei scheut er sich nicht diese auch großflächig abgeranzt und dreckig darzustellen, was dem Film enorm gut steht. Das frühe Apartment der Band, gegenüber des berühmten Nachtclubs „Whisky a Go Go“ in L.A. ist herrlich versifft und immer voll mit Frauen, Alkohol und Drogen.
Nicht so gut funktionieren hingegen manche Übergänge. Der Film dauert allerdings auch nur magere 108 Minuten, was für das 450 Seiten lange Buch etwas dünn erscheint. So entstehen die Bandinternen Streitigkeiten und vor allem der Bruch mit Sänger Vince Neil sowie die spätere Versöhnungen alle etwas plötzlich und zu schnell und einfach. Zumal der Bruch und vor allem die Versöhnung in der Realität weitaus komplexer war.
„I have managed the Scorpions, Bon Jovi, Skid Row, KISS. But I’ve never been through what Mötley Crüe put me through.”
Überraschend gut hingehen funktionieren die Darsteller. Machine Gun Kelly als Tommy Lee ist herrlich bescheuert und nennt jeden (auch Frauen) nur „Dude“. Douglas Booth als Nikki Sixx spielt hübsch selbstreflektierend und Iwan Rheon (bekannt aus „Game of Thrones“ und dem für „The Dirt“ passenderen „Misfits“) gibt einen genial grummeligen und in sich gekehrten Mick Mars. Man möchte fast meinen er ist am ehesten am Original dran. Daniel Webber als Vince Neil hat den schwersten Stand. Ihm fehlt es bis zu den weiter oben erwähnten starken Szenen lange Zeit an Substanz. Doch dann schafft er es auch noch der Rolle seinen Stempel aufzudrücken. David Costabile macht ebenfalls viel Spaß als sich die Haare raufender Doc McGhee. Ach und dann ist da ja noch Tony Cavalero als Ozzy Osbourne. Absolut abgedrehter Auftritt und direkt aus dem Buch. Was will man mehr?
Fazit
Für jeden echten Mötley Crüe Fan ist es einfach toll, dass es „The Dirt“ nach vielen Jahren im Produktionslimbo wirklich noch zu einem Film geschafft hat. Seine kaputten Helden die man im Buch mehr als einmal abgefeiert hat in Fleisch und Blut zu sehen, kann man nicht ersetzen. Leider ist „The Dirt“ etwas kurz und wirkt daher nicht immer aus einem Guss. Vielleicht wäre eine rotzige Mini-Serie noch besser gewesen aber es wäre auch ein noch größeres Wagnis für Netflix gewesen. Man muss in jedem Fall dankbar sein, dass hier keine Kinderversion versucht wurde. Wenn das bei der Geschichte von Mötley Crüe überhaupt möglich wäre. Allen in allem ist „The Dirt“ eine verdammt unterhaltsame, kurzweilige Bandhistorie im Schnelldurchlauf die viel fürs Auge bietet und, wie schon das Buch, zwischen Glorifizierung und Nase rümpfen hin und her schwankt.
Filmbewertung: 8/10
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