Snowden
Originaltitel: Snowden – Erscheinungsjahr: 2016 – Regie: Oliver Stone
Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Scott Eastwood, Ben Schnetzer, Nicolas Cage, Logan Marshall-Green, Zachary Quinto, Timothy Olyphant, Melissa Leo, Joely Richardson, Rhys Ifans, Keith Stanfield, u.A.
Filmkritik: Oliver Stone ist wieder da, um sich in die Untiefen von aktuellen politischen Belangen zu begeben. Schließlich war die „Whistleblower“-Affäre rund um Edward Snowden einer der größten Skandale der letzten Jahre in Amerika. Und Stone, die cineastische Moralebene Hollywoods, tat gut daran, sich dieses Themas anzunehmen.
Wie bei ihm gewohnt ist auch „Snowden“ ein „Mouthpiece“ und schert sich von der ersten Minute nicht darum den Fall von einer übergeordneten Perspektive zu sehen. Für Oliver Stone ist Snowdens Daten-Diebstahl ein Akt des ur-amerikanischen Patriotismus, der sich von jeher gegen eine diktatorische und verlogene Führungsregie gerichtet hat. In diesen knapp gesteckten und dadurch extrem gradlinigen Bahnen verläuft die weitere Handlung.
Anstatt wie etwa bei seinem fantastischen „Nixon“ weiter die Geschichte seines Protagonisten zu durchleuchten, fokussiert sich Stone auf den Weg Snowdens. Vom naiven Gutglauben, über die paranoide Phase, bis hin zum endgültigen Entschluss sich gegen das System aufzulehnen. Dabei gelingt es dem gesamten Film-Team meisterlich das Geschehen trotz einer Länge von weit über zwei Stunden niemals langweilig werden zulassen, obwohl der Fokus stets auf „Menschen in Räumen reden miteinander, manchmal laufen auch Computer“ liegt.
Joseph Gorden-Levitt beweist einmal mehr seine Gabe als darstellerisches Chamäleon. Wenn am Ende für den Schluss-Monolog – Mini-Spoiler – kurz der echte Snowden sich selbst spielt, so ist der Wechsel unmerklich und geradezu subtil, so sehr glich Gorden-Levitt zuvor seine Manierismen und seine Sprache an ihn an. Ebenfalls sehr gut bei dem knappen Material das ihr gegeben wurde ist Shailene Woodley, welche die dramatischen, als auch liebevollen Momente mit viel Herz und Passion ausfüllt. Pluspunkte für die Sexszene!
Rhys Ifans spielt den väterlichen Anleiter von Snowden, der trotz seines recht schablonenhaften Verhaltens in viele Szenen Nuancen einbauen kann, die wohl einem weniger guten Darsteller nicht gelungen wären. Timothy Olyphant darf lustigerweise eine Figur spielen, die seine relativen Kurzauftritte fast schon wie ein Prequel zu „Stirb langsam 4.0“ wirken lassen.
Ansonsten gibt es noch Scott Eastwood, der wie immer wie sein Vater aussieht und ansonsten den Hanswurst vom Dienst spielt, sowie Nicolas Cage als Nicolas Cage. Letztgenanntes wertet natürlich jeden Streifen gleich noch einmal etwas auf.
Die Art und Weise wie Stone es schafft die typische und bereits oft zuvor angewandte Struktur des Films stetig interessant zu halten, obwohl das Ganze eine simple Rückblenden-Nummer ist, bei der Snowden in einem Hotel in Hongkong ausgewählten Pressevertretern seine Geschichte erzählt, ist schon bemerkenswert. Immer wieder verwendet er so kurze wie knackige Sequenzen, die entweder die digitale Vernetzung, die globale Überwachung und schließlich Snowdens „Gang ins Licht“ zum Thema haben und so inspirierend wie eindeutig gefilmt den visuellen Stil weiter auflockern. Hier und da ist vielleicht der – natürlich – von Elektro-Musik inspirierte Soundtrack etwas deplatziert, aber insgesamt schafft es der Score dennoch das Geschehen weiter ordentlich voranzutreiben.
Die Hauptfrage bei „Snowden“ ist, wie die Zuschauer an den Streifen herangehen. Ein paar Besucher der Pressevorstellungen störten sich enorm daran, dass Oliver Stone das Werk komplett aus seiner eigenen Perspektive aufzieht und sich nicht darum schert eine „objektive Perspektive“ einzunehmen. Wer damit generell Probleme hat, wird auf jeden Fall eher wütend auf das Werk reagieren. Dabei darf durchaus die Frage gestellt werden, in wie weit diese definitiv meinungsmachende Ausgangslage generell zum Einsatz in den Schulen gedacht wird, da nämlich direkt auf der Internetseite des Films ein PDF zur Arbeit innerhalb der Klasse genutzt werden kann. Dabei wird auch vor allem auf die Umstände und Fakten eingegangen und nicht auf die Politik, die hinter Stones eigener Arbeit steckt.
Schlussendlich ist aber Oliver Stones ganz eigene Aufarbeitung des Falls „Snowden“ ein faszinierendes Zeitdokument, welches eben nicht nur gegen Republikaner schießt, sondern auch heftige Breitseiten auf die demokratische Obama-Regierung abfeuert. Dahingehend ist fast schon wieder so etwas wie inhaltliche Objektivität erreicht. Denn, wie gesagt, die treibende Kraft hinter Snowdens Taten, aber auch hinter Stones Intention, ist der brennend und durchaus revolutionäre Ur-Patriotismus, der einst Amerika gegründet und frei von irgendwelchen Obrigkeiten von außerhalb gemacht hat. Diese eindeutig gegen den Missbrauch des Systems durch die herrschende Klasse gerichtete Botschaft ist stets präsent und an etlichen Stellen dick aufgetragen.
Aber dennoch, hier und da blitzen immer wieder persönliche Momente durch. Ob jetzt ein Militärberater darüber erzählt, wie er immer wieder Frauen, Kinder und ganze Familien im Rauch-Quell der Drohnen-Explosionen verschwinden sieht und wie dies für ihn zum Alltag geworden ist, oder wie ein Vorgesetzter Snowdens subtil klar macht, dass auch er ein Teil des Systems ist und selbst vielen Zwängen unterliegt.
Wer sich nicht von Stones ausgiebig geschwungener Massage-Keule ablenken lässt, wird noch viele weitere von diesen kurzen Ausschnitten finden, in denen knapp, aber effektiv verschiedenste Situationen der weltweiten Geheimdienstüberwachung charakterisiert werden. So ist „Snowden“ im Endeffekt glücklicherweise eben mehr, als eine reine Geschichtsstunde aus dem Mund von Oliver Stone. Vielmehr ist es eine Ansammlung von Momentaufnahmen, kurzen Eindrücken und zwischenmenschlichen Elementen, die zusammengenommen einen faszinierenden Zeitgeist-Kosmos erschaffen, der wahrscheinlich in zehn Jahren noch interessanter ist als jetzt. Denn nicht nur manche Kritiker waren im Speziellen vielleicht an dem Geschehen und Stones Botschaft „zu nah dran“, sondern im Generellen sind wahrscheinlich auch dem heutige und an „Snowden“ interessierten Publikum die Fakten und Eindrücke noch zu präsent. Im Gegensatz zu „JFK“ und „Nixon“ fehlt der Abstand, um all diese Sachen aus einer Entfernung zu brachten, was schließlich im umgedrehten Sinne auch auf Oliver Stones von Herzen kommenden Ansatz gemünzt werden kann.
Wäre „Snowden“, wenn Stone ihn in zehn Jahren gemacht hätte, ein (noch) besserer Film geworden? Wahrscheinlich. Aber der am 15. September 1946 geborene amerikanische Regisseur wird auch nicht jünger. Mit fast siebzig Jahren brennt aber eben immer noch das leidenschaftliche Feuer der patriotischen Revolution in seinen Adern und man merkt „Snowden“ oft an, dass Stone als Regisseur all die vorgetragenen Elemente am Herzen liegen und dass er sie sich von der Seele filmen wollte. Ob der Aufruf nun ankommt, ob Leute das Ganze nicht nur als „Unterhaltung“ sehen, sondern auch als Denkansatz, das wird die Zukunft zeigen.
Was bleibt ist ein faszinierendes Stück Film, das von einem der letzten engagierten amerikanischen Regisseure gemacht wurde, dem auch eine größere Präsentationsfläche eingeräumt wird. Gerade dahingehend ist es allein schon wunderbar, dass eine Arbeit wie „Snowden“ eben in diesem Umfang und mit diesen erstklassigen Stars gedreht werden kann. Aber hey, vielleicht spricht da auch nur mein paranoid-revolutionär Weltbürger-Patriotismus aus mir. Aber vielleicht ist eben jener auch der Grund dafür, weshalb ich am Ende Oliver Stones „Snowden“ ins Hirn, wie auch ins Herz geschlossen habe.
Alles in Allem gibt das die semi-objektive Bewertung von
Filmbewertung: 7/10, auf die man, wenn man Stones Herangehensweise zustimmt, noch ruhig einen weiteren Punkt draufrechnen kann.
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